1 Die Lepra und die Hansen-Krankheit
Lepra ist eine der ältesten Krankheiten, die wir kennen. Oft wurde sie mit religiöser und sozialer Stigmatisierung in Verbindung gebracht, und Menschen auf der ganzen Welt haben erlebt, dass ihre Symptome und Diagnose weitreichende und langfristige Folgen für ihr weiteres Leben hatten.

Im Laufe der Jahrhunderte war die Krankheit in medizinischen Kreisen und auch in der Bevölkerung unter verschiedenen Namen bekannt. Obwohl Lepra als eine der ältesten bekannten Krankheiten gilt, ließ sie sich erst im 19. Jahrhundert eindeutig von anderen Hautkrankheiten abgrenzen. Bis dahin litten viele der vermutlich Leprakranken an anderen Krankheiten wie Syphilis, Hautkrebs, Hauttuberkulose und bestimmten Formen der Krätze.

Einige Bezeichnungen für die Krankheit oder der von der Krankheit betroffenen Personen wurden aufgegeben, weil diese Charakteristiken als unwürdig angesehen wurden oder weil die Verwendung anderer Begriffe dazu beitrug, das medizinische Verständnis von der Krankheit von dem traditionellen Stigma und der Mythologie zu trennen. Dies gilt beispielweise für den früher üblichen Begriff „Aussätzige“.

Heute ist der Begriff Lepra medizinisch eindeutig definiert, und er wird in weiten Teilen der Welt verwendet. In vielen Ländern benutzt man jedoch ganz offiziell den Begriff Hansen-Krankheit. Dies geht auf den Arzt Gerhard Armauer Hansen aus Bergen zurück, dem es 1873 gelang, die Lepra-Bakterien zu identifizieren.

Es ist wichtig, sich über die Verwendung der Terminologie im Klaren zu sein, wenn wir über Lepra sprechen. Die Verwendung der richtigen Terminologie kann dazu beitragen, die sozialen Probleme oder Folgen zu verringern, mit denen manche Menschen mit Lepra-Diagnose bis heute leben müssen. Menschen, bei denen in der Gegenwart Lepra diagnostiziert wurde, als „Aussätzige“ zu bezeichnen, ist mittlerweile undenkbar und wird als äußerst beleidigend angesehen. Obwohl die Krankheit geheilt werden kann und ihre Häufigkeit weltweit stark zurückgeht, sind Menschen, die an Lepra erkranken, und ihre Familien noch immer mit Vorurteilen und Diskriminierung konfrontiert. Unwissenheit über die Krankheit und überholte Wahrnehmungen und Tabus stehen einer Behandlung oftmals im Wege. Dies erlaubt die Schlussfolgerung, dass Lepra heute eher eine gesellschaftliche als eine medizinische Herausforderung ist.

Diese Ausstellung befasst sich sowohl mit medizinischen als auch mit sozialen Aspekten, und das St. Jørgens Hospital versucht, viele verschiedene Aspekte der Geschichte der Krankheit zu vermitteln. Zum einen stehen die Gebäude für einen wichtigen Teil der Geschichte des Gesundheitswesens früherer Zeiten, für wissenschaftlichen Fortschritt und dafür, wie die öffentlichen Bemühungen einen Vorbildcharakter im Kampf gegen die Krankheit in anderen Ländern hatten. Gleichzeitig sind diese denkmalgeschützten Gebäude ein Mahnmal für viele tausend Einzelschicksale, und für viele Menschen ist dies deshalb ein Ort der Besinnung und Einkehr.

Abbildung 1: Die Lepraforschung in Bergen, insbesondere die Entdeckung des Leprabakteriums durch Gerhard Armauer Hansen, ist seit weit über einem Jahrhundert international bekannt. 1901 wurde von „Kollegen und Freunden aus allen Ländern“ eine Hansen-Büste aufgestellt. Die Büste befindet sich im Botanischen Garten von Bergen.

2 Die Lepra
Lepra ist eine chronische Infektionskrankheit, die durch die Leprabakterie Mycobacterium leprae verursacht wird. Die Infektion wird hauptsächlich durch Tröpfchen aus dem Mund oder der Nase einer erkrankten Person übertragen, die in die Atemwege anderer Personen gelangen. Das Infektionsrisiko ist allerdings gering. Die Infektion wird normalerweise nur durch engen und dauerhaften Kontakt mit Menschen mit unbehandelter Lepra übertragen, und nur ein kleiner Prozentsatz der Infizierten entwickelt Symptome. Damit sich die Krankheit entwickeln kann, müssen neben dem Bakterium mehrere Voraussetzungen erfüllt sein. Ein Schlüsselfaktor ist in vielen Fällen eine schlechte Ernährung und insbesondere Proteinmangel. Auch genetische Faktoren spielen eine Rolle, und es wird davon ausgegangen, dass ein Großteil der Bevölkerung über eine natürliche Immunität verfügt und daher unter keinen Umständen an Lepra erkranken kann.

In der Symptomatik und bei der Lebenserwartung gibt es große Unterschiede zwischen den Menschen, die aktiv an Lepra erkranken. Bei vielen entwickelt sich die Krankheit langsam und dauert lange. Die Inkubationszeit variiert zwischen etwa einem Jahr bis zu mehr als 20 Jahren, normalerweise dauert es jedoch drei bis fünf Jahre nach der Infektion, bis die ersten Symptome auftreten. Lepra befällt vor allem die Haut, die Schleimhäute der oberen Atemwege, die Augen und die peripheren Nerven. Heute kann Lepra durch eine Kombination verschiedener Arten von Antibiotika geheilt werden. Unbehandelt könnten Menschen mit der Krankheit jedoch im Laufe der Zeit verschiedene Wunden und funktionelle Beeinträchtigungen entwickeln. Früher konnten die verschiedenen Komplikationen, die mit der Krankheit einhergingen, zum Tod führen.

Die Entwicklung der Krankheit hängt von verschiedenen Faktoren ab, unter anderem von der Zahl der Bakterien und der individuellen Immunantwort des Patienten. Die Symptome äußern sich in vielen verschiedenen Ausprägungen und Varianten. Traditionell wird zwischen zwei Haupttypen der Lepra unterschieden: der lepromatösen und der tuberkuloiden Form.

Die lepromatöse Form entwickelt sich bei Menschen mit stark geschwächtem Immunsystem, und die Infektion zeigt sich oft in Form von charakteristischen Knötchen in der Haut. Bei vielen Patienten kann es zu längeren Phasen kommen, in denen die Infektion weniger aktiv ist. Allerdings führen regelmäßige Ausbrüche zu einer stetigen Verschlechterung des Aussehens und der Gesundheit des Patienten. Die Knötchen erscheinen oft im Gesicht und an den Händen des Patienten, aber auch innere Organe können betroffen sein. Knötchen in der Luftröhre, den Stimmbändern und den Gehörgängen führen zu Heiserkeit, Atembeschwerden und Beeinträchtigungen des Gehörs.

Bei der tuberkuloiden Form der Lepra wird das periphere Nervensystem, insbesondere die sensorischen Nerven in der Haut, angegriffen. Dies führt zu reduzierter Empfindsamkeit oder Anästhesie, was wiederum ein Risiko für Verbrennungen, Schnitte und Stressverletzungen insbesondere an Händen und Füßen mit sich führt. Durch häufige Geschwürbildungen und hartnäckige Infektionen werden die Finger und Zehen im Laufe der Zeit oft erheblich geschädigt, auch Knochen- und Knorpelschäden gehören dazu. Der Knorpelabbau in Nase und Rachen kann zu Heiserkeit und Atembeschwerden führen. Viele der natürlichen Reflexe und die Feinmotorik des Körpers werden ebenfalls geschädigt, was dazu führt, dass die Patienten unter charakteristischen Gesichtslähmungen und Entstellungen leiden. Viele Lepra-Patienten erkranken an Augeninfektionen und erblinden allmählich.

Abbildung 1: Ein Patient des St. Jørgen Hospitals mit der lepromatösen Form der Lepra. Aquarell von J L Losting aus den 1840er Jahren, Atlas Colorié de Spedalskhed.

Abbildung 2: Ein Patient des St. Jørgen Hospitals mit der tuberkuloiden Form der Lepra. Aquarell von J L Losting aus den 1840er Jahren, Atlas Colorié de Spedalskhed.

Objekte 1–2: Wachsmodelle: Ein Geschenk des deutschen Arztes Oscar Lassar (1849–1907) an Kollegen in Bergen.

3 Das St. Jørgens Hospital vor 1700
Das St. Jørgens Hospital ist Norwegens älteste Stiftung und eines der ältesten Krankenhäuser in Skandinavien. Erstmals wurde das Krankenhaus in zwei hanseatischen Testamenten erwähnt: eines von 1411, in dem es als „das Hospital des Klosters Nonneseter“, und eines von 1416, in dem es als „das neue Krankenhaus“ bezeichnet wird. Der Name St. Jørgens Hospital wurde dann erstmals 1438 erwähnt.

Es muss darauf hingewiesen werden, dass der Begriff „Hospital“ zu damaliger Zeit eine andere Bedeutung hatte als heute. Er ist vom lateinischen hospitalis abgeleitet, was nichts anderes bedeutet als „für einen Gast“. Es konnte für jeden Ort verwendet werden, der in irgendeiner Weise Schutz bot. Hierbei konnte es sich um Unterkünfte für Pilger oder Armenhäuser handeln, aber viele Hospitale waren eben auch auf Gäste mit medizinischen Problemen spezialisiert. Das Spektrum der Pflege in diesen Krankenhäusern reichte von einem Dach über dem Kopf bis zur Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Notwendigkeiten. Einige wenige boten auch irgendeine Form von Behandlung an.

Eine solche war das St. Jørgens Hospital bis weit ins 19. Jahrhundert hinein, als es sich allmählich in etwas verwandelte, das eher der modernen Bedeutung eines Krankenhauses entsprach. Dies ist auch der Grund dafür, dass wir die Menschen, die hier lebten, eher als „Bewohner“ denn als „Patienten“ bezeichnen.

Es wird angenommen, dass das Hospital bis zur Reformation in Norwegen im Jahre 1536 vom Kloster Nonneseter in Bergen geführt wurde. Wie viele andere mittelalterliche Krankenhäuser in Europa lag St. Jørgens außerhalb des Stadtzentrums.

Im Zuge der Reformation beschlagnahmte die Krone sämtlichen Klosterbesitz. 1545 wurde das St. Jørgens Hospital offiziell als königliche Stiftung gegründet, und ehemaliges Klostereigentum ging als Beitrag zum Anfangskapital in die Stiftung über. Gleichzeitig erklärte die dänische Krone das Hospital zu einer allgemeinen Krankenhauseinrichtung, die Menschen mit verschiedenen gesundheitlichen Problemen aufnehmen konnte.

Im Jahre 1640 legte ein katastrophales Feuer das gesamte Gebiet von Vågsbunnen am Hafen bis nach St. Jørgens in Schutt und Asche. Im Krankenhaus verbrannten „17 Menschen bei lebendigem Leib“. Es ist anzunehmen, dass das Feuer die letzten Reste der mittelalterlichen Bauten zerstörte. Die Statuten des Spitals aus dem Jahr 1654 zeugen von schweren Zeiten. Das Krankenhaus hatte viele Bewohner und wenig Einkommen, seine Gebäude waren in einem schlechten Zustand, und es hatte hohe Schulden. Bei den meisten Patienten war Lepra diagnostiziert worden. Sparmaßnahmen beeinträchtigten den Betrieb des Krankenhauses in der Zeit bis 1700.

Abbildung: Die Statuten des St. Jørgens Hospitals von 1654

Objekte: Löscheimer aus der Zeit um 1750

4 Das 18. Jahrhundert – ein neues Krankenhaus erhebt sich aus der Asche
Am 19. Mai 1702 erlebte Bergen seinen größten und verheerendsten Stadtrand überhaupt. Rund 80 Prozent der Gebäude der Stadt wurden dem Erdboden gleichgemacht, und erneut wurde das St. Jørgens Hospital komplett zerstört. Die 58 Bewohner des Krankenhauses wurden für einige Monate bei den Armen der Stadt untergebracht. Obwohl das Gebäude erst im folgenden Jahr endgültig fertiggestellt wurde, konnten sie schon zu Beginn des Winters in das neue Hauptgebäude des Krankenhauses einziehen. Alles deutet darauf hin, dass der Wiederaufbau übereilt stattfand, denn schon bald stellte sich heraus, dass der Neubau nicht den Ansprüchen genügte. 1754 wurde er wieder abgerissen und durch ein neues Hauptgebäude ersetzt, das bis heute steht.

Im Laufe des 18. Jahrhunderts stieg die Zahl der Bewohner rapide an; von 58 Einwohnern im Jahr 1702 auf 90 im Jahr 1745. Zehn Jahre später, als das große neue Hauptgebäude ein Jahr lang in Betrieb war, hatte das Hospital bereits 140 Bewohner. Damit war das St. Jørgens Hospital eines der größten Krankenhäuser in Norwegen und eine wichtige Einrichtung im Bergen des 18. Jahrhunderts. Das Hauptgebäude von 1754 wurde als „eines der allergrößten und bedeutendsten der Stadt“ beschrieben.

Abbildung 1: Der Neubau des Krankenhausgebäudes von 1754 war damals eines der größten Bauwerke der Stadt. Er hat viele Gemeinsamkeiten mit der Architektur vieler anderer öffentlicher Bauten in Europa aus dieser Zeit. Dazu gehören große Gemeinschaftsbereiche und kleine angrenzende Patientenzimmer auf zwei Etagen.

Abbildung 2: Das St. Jørgens Hospital, vermessen und gezeichnet von Johan Lindstrøm und Nils Tvedt. 1921.

Abbildung 3: Perspektivzeichnung von Bergen aus den 1740er Jahren. Das St. Jørgens Hospital ist mit der Nummer 13 gekennzeichnet.

5 Das St. Jørgens Hospital um 1800
Von Anfang an hatte das St. Jørgens Hospital mit schwierigen Bedingungen und schlechten Finanzen zu kämpfen. Die Einkünfte stammten größtenteils von den vielen Höfen, die die Stiftung in Westnorwegen besaß, aber diese Höfe waren alles andere als lukrativ, und die dort erwirtschafteten Erträge ließen sich nur schwer einsammeln. Wenn die Zeiten zudem wirtschaftlich schwierig waren, versiegten auch die wohltätigen Spenden der Stadtbewohner. Eine Sparmaßnahme, die bereits 1654 eingeführt wurde, war die direkte Auszahlung einer Verpflegungspauschale an die Bewohner, die damit ihren eigenen Haushalt bestreiten mussten. Trotz dieser Kosteneinsparungen konnte es passieren, dass die Krankenhausverwaltung mit ihren Zahlungen mehrere Jahre im Rückstand war.

1816 veröffentlichte der Krankenhausgeistliche Johan Ernst Welhaven (1775–1828) einen Bericht über die Zustände im St. Jørgens Hospital, der Anlass zur Sorge gab. Die Bewohner waren in keiner Weise angemessen versorgt und sie hatten nicht genug Geld für Lebensmittel. In seinem Bericht beschrieb Welhaven das Krankenhaus als Friedhof für die Lebenden.

Welhavens Bericht war letztendlich der Impuls, der die öffentlichen Bemühungen zur Bekämpfung der Lepra im 19. Jahrhundert auslöste. Im Jahr nach der Veröffentlichung des Berichts beschloss der Staat, eine eigene Arztstelle im Krankenhaus einzurichten, die von der Stadt Bergen und den umliegenden Landkreisen finanziert werden sollte. Das Personal sollte aufgestockt und die Bewohner kostenlos mit Medikamenten versorgt werden. Obwohl es bei der Behandlung der Krankheit kaum Fortschritte gab, erwiesen sich diese Änderungen als die wichtigsten in der Geschichte des Krankenhauses. Mit ihrem Beschluss von 1817 hatte die Regierung des damals noch jungen norwegischen Staates signalisiert, dass die Situation der Bewohner eine Angelegenheit der öffentlichen Hand war und dass sie für die Behandlung von Leprapatienten und den Betrieb des St. Jørgens Hospital ehrgeizige Ziele hatte.

Abbildung 1: In dem Bericht von 1816 beschrieb der Krankenhausgeistliche die entwürdigenden Bedingungen im St. Jørgens Hospital und die vielen unglücklichen Bewohner. Johanne Tollefsdatter war seit 1780 im Krankenhaus.

Abbildung 2: Anna Svensdatter war eine andere Bewohnerin, die unter der mangelnden Pflege litt. Welhaven schrieb, dass ihre Augen geschwollen und mit einer grauen, schleimigen Flüssigkeit gefüllt waren. Sie hatte viele offene Wunden mit hartem Schorf.

Objekt 1: Eine St. Jørgens-Sammelbüchse für Almosen von 1778.

6 Grundlagen für den öffentlichen Einsatz gegen Lepra im 19. Jahrhundert
1832 machte der Militärarzt Johan Hjort (1798–1873) eine Reise durch Norwegen. Ziel war es, den Gesundheitszustand der Menschen und die Gesundheitseinrichtungen entlang der norwegischen Küste näher zu untersuchen. Lepra war dabei ein besonderer Schwerpunkt. 1833 veröffentlichte Hjort einen umfangreichen Bericht, in dem er darauf hinwies, dass es dem St. Jørgens Hospital an jeglichen Badeeinrichtungen mangelte, dass die Lebensbedingungen unhygienisch und die Gebäude in einem völlig unbefriedigenden Zustand waren. Als Hjort das Krankenhaus besuchte, gab es dort immer noch eine kleine Minderheit von Bewohnern, die nicht von Lepra betroffen waren. Es waren zum größten Teil alte Leute, die für einen Platz im Hospital bezahlt hatten. Hjort berichtete, dass gesunde und kranke Bewohner und Männer wie Frauen Seite an Seite lebten und dass unter den Bewohnern Alkohol und Unordnung sehr verbreitet waren.

Hjort war nicht der Einzige, der darauf hinwies, dass die Situation ebenso verwerflich wie chaotisch sei. Mehrere weitere Berichte folgten, und 1836 wurde die erste landesweite Zählung von Menschen mit Lepra durchgeführt. Ende der 1830er Jahre verabschiedete das das norwegische Parlament Storting seinen ersten Beschluss zum Bau neuer öffentlicher Leprakrankenhäuser.

Abbildung 1: Eine der beiden Küchen des Krankenhauses in den 1930er Jahren. Nach seiner Inspektion hundert Jahre vorher berichtete der Militärarzt Hjort, dass diese Räume Ort „großer Unordnung und mangelnder Sauberkeit“ waren, insbesondere infolge des Ausnehmens von Hering und anderen Fischen, die laut Hjort die „primäre Nahrungsquelle“ der Bewohner waren.

Abbildung 2: Der Haupttrakt, fotografiert in den 1930er Jahren. Hjort bezeichnete diesen Raum als den großen Arbeitsraum. „Die Arbeit der Bewohner besteht vor allem darin, Schuhe zu nähen, Wurstspieße und Streichhölzer herzustellen, die die Patienten selbst in der Stadt verkaufen.“

Objekte 2–3: Aderlassmesser und eine sog. Springlanzette.

7 Die norwegische Lepraforschung in den 1840er und 1850er Jahren
1839 erhielt der Arzt Carl Wilhelm Boeck (1808–1875) ein staatliches Stipendium, um die Lepra in Norwegen und im Ausland Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung zu studieren. Boeck begann mit einem Besuch im St. Jørgens Hospital, wo er eine formelle Zusammenarbeit mit Daniel Cornelius Danielssen (1815–1894) einging. Danielssen war ein vor kurzem ernannter Militärarzt, der aber bereits seit 1839 auch die Leprapatienten in St. Jørgens studierte. Auf Boecks Vorschlag hin wurde Danielssen im Januar 1841 als Krankenhausarzt für St. Jørgens eingestellt. Einige Wochen später erhielt er vom Staat ein Gehalt, das es ihm ermöglichte, sich der Erforschung der Krankheit zu widmen. Die Zusammenarbeit zwischen Danielssen und Boeck sollte für viele Jahre die Grundlage für die internationale Lepraforschung bilden.

Boeck empfahl dem norwegischen Parlament Stortinget, die Bemühungen um den Aufbau neuer Einrichtungen für Leprakranke stärker voranzutreiben. 1845 stellte das Parlament Mittel für den Bau des Lungegaards-Krankenhauses in Bergen als Heileinrichtung für Patienten mit Lepra im Frühstadium oder leichten Fällen bereit. Darüber hinaus wurde beschlossen, dass die Forschungsergebnisse von Danielssen und Boeck auf Kosten des Staates veröffentlicht werden sollten.

Abbildung 1: Ab 1839 beschäftigte sich der junge Arzt Daniel Cornelius Danielssen (1815–1894) intensiv mit dem Studium der Patienten in St. Jørgens.

Abbildung 2: Carl Wilhelm Boeck (1808–75) legte mit seinen Studien im Ausland einen wichtigen Grundstein für die öffentliche Lepraarbeit.

8 „Über Lepra“
1847 erschien die Monografie Om Spedalskhet (Über Lepra) von Danielssen und Boeck. Sie wurde ergänzt durch den „Atlas Colorié de Spedalskhed“, eine Sammlung von Illustrationen des Bergener Künstlers Johan Ludvig Losting (1810–1876). Die Illustrationen von Losting zeigten typische Fälle im St. Jørgens Hospital sowie eine Reihe von Proben, die für makroskopische und mikroskopische Untersuchungen präpariert wurden.

Die Monographie von 1847 ist die erste moderne Symptomatologie der Lepra. Während bisher sehr unklar war, was der Begriff Lepra überhaupt bedeutete, wurde er mit der Monographie von 1847 als spezifische und eindeutige Diagnose eingeführt. Danielssen und Boeck gaben neben einem historischen Überblick auch detaillierte Fallbeschreibungen und warfen Fragen auf, die sich in der Lepraforschung bis in die neuere Zeit als wichtig erweisen sollten.

Eine Schlüsselfrage in ihrer Arbeit war, was die Krankheit verursachte. Danielssen und Boeck hatten immer wieder betont und beschrieben, dass es sich bei Lepra um eine spezifische Krankheit und nicht nur um ein allgemeines Leiden unterernährter und unhygienisch lebender norwegischer Bauern handelte. Dennoch bestand große Unsicherheit darüber, was die wahre Ursache der Krankheit war. Danielssen hatte festgestellt, dass ein großer Prozentsatz der Patienten von St. Jørgens andere Familienmitglieder hatte, die von Lepra betroffen waren. Er identifizierte mehrere sogenannte „Leprafamilien“ in Westnorwegen, in denen die Krankheit über viele Generationen hinweg gefunden werden konnte. Es gab wenig Hinweise darauf, dass die Krankheit ansteckend war. Die gesunden Krankenschwestern und Bewohner von St. Jørgens schienen sich nicht infiziert zu haben. Danielssen kam zu dem Schluss, dass Lepra eine erbliche Blutkrankheit sein musste. Er behauptete, dass die Krankheit möglicherweise durch einen unbesonnenen Lebensstil übertragen würde, aber hauptsächlich von den Eltern an die Kinder weitergegeben werde.

Abbildung 1: a) Eine für die tuberkuloide Form der Lepra charakteristische Hand. Die meisten Finger sind infolge totaler Nekrose der Finger verkrüppelt. B) Eine Zunge mit Epiglottis (Kehldeckel) und einem Teil des Rachens – charakteristisch für die lepromatöse Form der Lepra. Auf der Zunge und am Rand der Epiglottis sind gelblich-weiße Knötchen zu erkennen.

Abbildung 2: Eine Gebärmutter mit Eierstöcken und Eileitern und ihrem breiten Band, auf dem viele kleine gelblich-weiße Knötchen zu sehen sind. Die Eileiter sind vollständig mit Knötchen gefüllt, die eine einem Rosenkranz ähnelnde Form zu bilden scheinen.

Abbildung 3: Die verschiedenen Stadien einer Augenerkrankung bei der lepromatösen Form der Lepra.

Abbildung 4: Ein 12-jähriger Junge, bei dem sich die runden, karmesinroten, etwas bläulich gefärbten Flecken, die ein Erkennungsmerkmal der lepromatösen Lepra sind, noch stärker ausprägten, nachdem sie mehrmals für kurze oder längere Zeit verschwunden waren. Dabei sind die Flecken gegenüber der umgebenden Haut noch nicht hervorgehoben und verschwinden auch nicht mehr bei Fingerdruck.

Illustrationen von J L Losting. Aus Atlas Colorié de Spedalskhed

Objekt 1: Amputationssäge aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.

Objekt 2: Chirurgische Geräte aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.

9 Die öffentlichen Lepra-Einrichtungen
Die Theorie, dass die Krankheit erblich sei, beeinflusste viele Jahre lang die Arbeit an der Lepra in Norwegen. Es war ein erklärtes Ziel, an Lepra erkrankte junge Menschen zu isolieren, bevor sie eine Familie gründen und die Krankheit an ihre Kinder weitergeben konnten. Es setzte sich aber auch die Einsicht durch, dass mehr Forschung notwendig war. 1845 stellte das norwegische Parlament Stortinget Mittel für den Bau des Lungegaards-Krankenhauses bereit. Die ersten Patienten wurden dort am 1. Oktober 1849 aufgenommen. So wurde Danielssen Chefarzt des einzigen Forschungskrankenhauses, das in der norwegischen Geschichte für die Behandlung einer einzigen Krankheit gebaut wurde.

In den folgenden Jahren wurden mehrere neue Fachkrankenhäuser gegründet. Das Reknes-Krankenhaus nahe der Stadt Molde existierte zwar schon seit dem frühen 18. Jahrhundert, wurde aber jetzt zu einem modernen Leprakrankenhaus ausgebaut. Das neue Krankenhaus Reigjerdet Hospital nahe Trondheim wurde 1861 in Betrieb genommen. Das Flaggschiff unter den im 19. Jahrhunderten eingerichteten Leprakrankenhäusern war dennoch das 1857 eröffnete Pleiestiftelsen for Spedalske Nr. 1 (Pflegestiftung Nr. 1 für Leprapatienten) in Bergen.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hatte Bergen drei Lepra-Einrichtungen und die größte Konzentration von Leprapatienten in Europa. Der norwegische Staat hatte beträchtliche finanzielle Mittel bereitgestellt, ein einzigartiges institutionelles Umfeld geschaffen und damit die Forschung erleichtert. Diese Maßnahmen waren der Grund, warum man in den nächsten Jahrzehnten bemerkenswerte Ergebnisse erzielte.

Abbildung 1: Das Lungegaard-Krankenhaus in Bergen wurde 1849 fertiggestellt. Als Forschungskrankenhaus war es Patienten im Frühstadium und leichten Fällen von Lepra vorbehalten. Viele Patienten wollten hier aufgenommen werden, weil das Krankenhaus als Heileinrichtung bezeichnet wurde. Einige wurden entlassen, aber für die meisten Patienten war die Aufnahme in das Lungegaard-Krankenhaus der Beginn vieler Lebensjahre in einer Einrichtung.

Abbildung 2: Reigjerdet bei Trondheim wurde 1861 als staatliche Pflegestiftung für Leprakranke gegründet.

Abbildung 3: Daniel Cornelius Danielssen gelang es, wichtige politische Impulse für eine Offensive gegen Lepra auszulösen. In seiner Lebenszeit wurde Lepra zu einer Herausforderung, der die verschiedenen norwegischen Regierungen finanzielle Priorität einräumten. Danielssens Theorie, dass die Krankheit erblich sei, beeinflusste Mitte des 19. Jahrhunderts Ausstattung und Betrieb der neuen Lepra-Einrichtungen.

Objekt 1: Hinweisschilder der Pleiestiftelsen für Spedalske Nr. 1: Arbeitszimmer. Patientenbibliothek. Wartezimmer des Chefarztes.

10 Pleiestiftelsen für Spedalske Nr. 1
Diese seit 1857 bestehende Krankenpflegestiftung war eine der größten Krankenhauseinrichtungen Norwegens und gleichzeitig einer der größten Holzbauwerke des Landes. In 40 Siebenbettzimmern konnten hier 280 Patienten aufgenommen werden. Viele Mediziner betrachteten diese Einrichtung als vorbildlich, und die Grundrisse wurden in internationalen Publikationen veröffentlicht und als nachahmenswertes Beispiel bezeichnet.

Die Pflegestiftung war für unheilbare Leprakranke gedacht, die damit rechnen mussten, den Rest ihres Lebens in einer geschlossenen Einrichtung zu verbringen. Bei den Patienten hatte dieser Ort einen schlechten Ruf. Die Disziplin war sehr streng und die Möglichkeit, sie wieder zu verlassen, galt als gering. Wenn die Bewohner nicht in den Arbeitsräumen beschäftigt waren, wurden sie manchmal in ihren Zimmern eingeschlossen. Die Bedingungen verbesserten sich allmählich, aber der Ruf der Einrichtung, Zwang auszuüben, hielt sich hartnäckig bis weit ins 20. Jahrhundert hinein.

Abbildung 1: Grundriss der Einrichtung Pleiestiftelsen.

Abbildung 2: Die Hausordnung der Einrichtung Pleiestiftelsen.

Abbildung 3: Die Krankenpflegestiftung Pleiestiftelsen für Spedalske Nr. 1.

Objekt 2: Ein Salbenglas aus dem St. Jørgens Hospital von 1873 und Medizinflaschen von Pleiestiftelsen.

11 Das Nationale Lepraregister für Norwegen
1854 wurde eine neue staatliche Behörde gegründet. Der Leitende Amtsarzt für Lepra wurde mit der Überwachung und Koordinierung der öffentlichen Anstrengungen zur Bekämpfung von Lepra beauftragt. Erster Inhaber dieses Amtes war Ove G. Hoegh (1814–1863), der schon bald begann, ein Verzeichnis über die Leprakranken in Norwegen anzulegen. 1856 wurde das Nationale Lepraregister für Norwegen offiziell eingerichtet. Zweck dieses Registers war zum einen, die Häufigkeit der Lepra zu dokumentieren und zum anderen die Ursachen der Krankheit festzustellen. Eine dritte Aufgabe war, den Grundstein für eine kontinuierliche Bewertung der öffentlichen Bemühungen gegen Lepra zu legen.

Nach der Einrichtung des Nationalen Registers waren die Bezirksärzte verpflichtet, jeden Leprakranken in ihrem Bezirk zu erfassen. Wenn erforderlich, sollten auch die Pfarrer bei dieser Arbeit helfen. Es ging darum, Namen, Wohnort, Geburtsort, Geschlecht, Alter, den Zeitpunkt des Krankheitsbeginns, den Gesundheitszustand des Ehepartners und der Kinder usw. zu registrieren.

Regelmäßig zum Jahreswechsel wurden die lokalen Registrierungsformulare an den Leitenden Amtsarzt für Lepra geschickt. Dort wurden die Informationen den zentralen Registern hinzugefügt und systematisiert, und eine der Hauptaufgaben dieser Zentralstelle war die Erstellung von Statistiken. Im Jahresrhythmus wurden Tabellen von Personen, bei denen in Norwegen Lepra diagnostiziert wurde, veröffentlicht. Dies war ein wichtiger Bestandteil für die öffentlichen Bemühungen gegen die Krankheit. Die Führung dieses Lepraregisters war eine anspruchsvolle Aufgabe und seine Einrichtung ein Pionierprojekt. Das Lepra-Register war wahrscheinlich das erste nationale Patientenregister weltweit und diente als Vorbild für entsprechende Register in anderen Ländern.

Abbildungen 1–3: Orts- und Zentralregister aus dem Archiv des Leitenden Amtsarztes.

Abbildung 4: „Tabellen von Personen, bei denen in Norwegen Lepra diagnostiziert wurde“.

Objekte: Wachsmodelle von Händen. Ein Geschenk des deutschen Arztes Oscar Lassar (1849–1907) an Kollegen in Bergen.
Von oben nach unten:
Eine Hand, bei der die Finger aufgrund von Nekrose verloren gegangen sind.
Eine Hand, die in der für die tuberkulöse Form der Lepra typischen Stellung gelähmt ist.
Die Hand eines Patienten mit lepromatöser Lepra.

12
(Darstellung der Namen im Lepraregister, insgesamt 8.231)

13 Armauer Hansen und die Entdeckung der Leprabakterien
1868 trat der junge Gerhard Henrik Armauer Hansen (1841–1912) seine Stelle als Arzt in der Pleiestiftelsen für spedalske Nr. 1 und als Assistenzarzt im Lungegaards-Krankenhaus an. Schon bald äußerte er die Überzeugung, dass Lepra eine ansteckende Krankheit sei. Nach einigen Jahren hatte Hansen mehrere Arbeiten veröffentlicht, in denen er mit Argumenten der Theorie von Danielssen widersprach, dass Lepra erblich sei.

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war eine Zeit, in der auf vielen verschiedenen Gebieten große wissenschaftliche Durchbrüche erzielt wurden. Seine Karriere als Forscher begann Armauer Hansen zu einer Zeit, als die Bakteriologie noch in den Kinderschuhen steckte. 1873 gelang ihm bei der Suche nach dem Infektionserreger ein Durchbruch, und 1874 veröffentlichte er das Werk, das später als sein Opus Magnum bezeichnet wurde: Ein Bericht an die Norwegische Medizinische Gesellschaft in Christiania über eine Reise, die mit Unterstützung der Gesellschaft zum Zwecke der Erforschung der Ursachen von Lepra unternommen wurde. Auf 88 Seiten legte Hansen seine mikrobiologischen Argumente dar und beschrieb seine Entdeckung der Leprabakterien. Es folgten epidemiologische Analysen und Beispiele aus dem norwegischen Lepraregister. Sie zeigten, dass die Häufigkeit der Krankheit in jenen Gebieten am schnellsten zurückging, in denen die Isolierung von Patienten am strengsten praktiziert wurde. Grundlage der Theorie eines Infektionserregers waren mikrobiologische Studien ebenso wie epidemiologische Analysen.

Dies war eine bahnbrechende Arbeit. Armauer Hansen war der erste, der einen Mikroorganismus als Verursacher einer chronischen Krankheit beschrieb.

Abbildung 1: Gerhard Armauer Hansen.

Abbildung 2: Das Leprabakterium – Mycobacterium leprae.

Abbildung 3: Grundlage der Entdeckung der Leprabakterien durch Armauer Hansen waren mikrobiologische Studien ebenso wie Analysen des Nationalen Lepraregisters für Norwegen.

Armauer Hansens erste Beschreibung der Leprabakterie, die er in den Lepraknötchen des 12 Jahr alten Patienten Johannes Giil (1866-1874) gefunden hatte: „Datum: 28. Februar 1873. Ein Knötchen von jedem Nasenflügel, mit einer Schere entfernt und in ein sorgfältig gereinigtes Uhrenglas gelegt; Einschnitt durch die Knoten; keine Erweichung; kratzte die Schnittfläche mithilfe der Messerschneide und legte die Abkratzungen auf einen Objektträger und verteilte sie ohne Zugabe von Flüssigkeit, indem ich das Deckglas herunterdrückte. Fast ausschließlich runde Zellen, sehr wenige mit Fettkörnern, viele feinkörnige, andere mit vielen stäbchenförmigen Körpern, die teils durch parallele Linien begrenzt, teils an beiden Enden zugespitzt und dann fast doppelt so dick sind wie die anderen in der Mitte. Ähnliche Körper werden in freiem Zustand gefunden, wo der Druck des Deckglases zur Bildung kleiner Seen geführt hat, die von kompakten Zellen umgeben sind; In diesen Serumseen bewegen sich die Körper wie Bakterien.“

Objekte: Mikroskop und Proben auf Objektträgern

14 Die Jagd nach Beweisen
Armauer Hansen war sich bewusst, dass er keine ausreichenden Beweise für seine Entdeckung hatte, und in den 1870er Jahren bestimmte seine Jagd nach unwiderlegbaren Beweisen sein gesamtes Wirken. Viele Jahre lang versuchte er, die Existenz des Infektionserregers durch Kultivierungsversuche und das gezielte Infizieren von Versuchstieren wie Hunden, Kaninchen, Katzen, Affen und Fischen nachzuweisen. In den 1850er und 1860er Jahren hatte Danielsen sich selbst, seinem Assistenten, einer Stationsschwester, drei Krankenschwestern und einem männlichen Assistenten im Lungegaards-Krankenhaus Blut von Patienten injiziert, ohne damit eine Ansteckung nachweisen zu können. Im November 1879 führte Hansen in der Pleiestiftelsen for Spedalske Nr. 1 ein Experiment an einer Patientin durch. Er wollte damit herausfinden, ob Kari Nielsdatter, die an der tuberkuloiden Form der Lepra litt, einen Lepraknoten in ihrem Auge entwickeln würde.

Das Experiment hatte katastrophale Folgen. Armauer Hansen wurde angeklagt und von einem Gericht verurteilt, Ende Mai 1881 seine Position als Chefarzt des Krankenhauses aufzugeben. Das Gerichtsverfahren gegen Hansen war in der norwegischen Rechtsgeschichte der erste Fall, in dem Patientenrechte im Mittelpunkt standen.

Als leitender Arzt in der Leprabehandlung leitete Hansen bis zu seinem Tod im Jahr 1912 die norwegischen Anstrengungen gegen Lepra. In der internationalen Lepraarbeit des 20. Jahrhunderts war er der Inbegriff medizinischer Rationalität im Gegensatz zum mythologischen Stigma, das die Krankheit mit sich brachte. Bis heute ist Armauer Hansen wahrscheinlich der berühmteste Norweger außerhalb Norwegens.

Abbildung 1: Armauer Hansen war bis zu seinem Tod im Jahr 1912 im Alter von 70 Jahren leitender Arzt in der Leprabehandlung.

Abbildung 2: Laos ist eines von 24 Ländern, in denen Briefmarken mit einem Porträt von Armauer Hansen herausgegeben wurden. In der Lepra-Arbeit der neueren Zeit steht Hansen für einen rationalen und humanistischen Ansatz, der im Gegensatz zu den stigmatisierenden Mythen steht, die seit je her mit der Krankheit verbunden waren.

15 Die norwegische Gesetzgebung zur Eindämmung der Lepra
Eine der wichtigsten Folgen der Entdeckung der Leprabakterien war eine neue Lepra-Gesetzgebung. Bereits 1875 übernahm Armauer Hansen die Position als Chefarzt für die Leprabehandlung. Infolge seiner Entdeckung eines Infektionserregers wurde 1877 ein neues Gesetz verabschiedet. Damit wurde die Unterbringung von Menschen, bei denen Lepra diagnostiziert wurde, bei örtlichen Bauern untersagt, so dass viele keine andere Wahl hatten, als sich in die Obhut eines Krankenhauses zu begeben. Das Gesetz enthielt auch strenge Bestimmungen hinsichtlich der Kleidung und Bettwäsche der Infizierten. Es sah vor, dass solche Kleidungsstücke und Bettwäsche erst nach einer Reinigung nach den Vorgaben der örtlichen Gesundheitskommission von anderen Menschen benutzt werden durften. Wer gegen diese Bestimmungen verstieß, konnte mit einem Bußgeld bestraft werden.

Als es Hansen 1885 gelang, ein neues, noch strengeres Lepragesetz durchzusetzen, löste dies eine hitzige, viele Jahre andauernde Debatte aus. Das neue Gesetz sah eine Zwangsisolation vor. Diese Maßnahme betrachteten mehrere Kollegen von Hansen als unmenschlich und als einen Verstoß gegen die norwegische Verfassung. Von den Bestimmungen zur Zwangseinweisung in ein Krankenhaus wurde in den Folgejahren allerdings nur noch selten Gebrauch gemacht. Dennoch ließ Armauer Hansen Patienten, die in ihren Häusern isoliert waren, sehr genau beobachten. Dieses Gesetz von 1885 diente vielen Ländern als Vorbild für entsprechende Gesetzgebungen.

Abbildung 1: Karte zur Verbreitung der Lepra in den Jahren 1856 und 1890.

16 Das Lepra-Gesetz von 1885
Gesetz über die Isolierung von Aussätzigen und ihre Unterbringung in öffentlichen Pflege- und Heilanstalten u.a.

Wir, Oscar, König von Gottes Gnaden von Norwegen und Schweden, König der Wenden und Goten, geben hiermit bekannt: Uns wurde der jetzt formulierte Beschluss des Storting vom 25. April dieses Jahres vorgelegt, der wie folgt lautet:

§ 1. Aussätzige dürfen nicht bei örtlichen Bauern untergebracht werden.

§ 2. Aussätzige, die Armenhilfe beziehen, sind, soweit diese nicht vorübergehend oder auf einen geringen Teil ihres Lebensunterhalts beschränkt ist, (…) in öffentlichen Pflege- oder Heilanstalten unterzubringen. Werden diese armen Menschen nicht in den oben genannten Anstalten untergebracht, sind sie entweder in besonderen Wohneinrichtungen unterzubringen oder auf eine Weise zu betreuen, die die Gesundheitskommission als zufriedenstellend ansieht.
Im Falle unterschiedlicher Auffassungen darüber, ob die Armenhilfe nur vorübergehender Natur ist oder ob sie nur einen kleinen Teil des Lebensunterhalts des Aussätzigen ausmacht, obliegt dem Amtmann die endgültige Entscheidung.

Bei der Versorgung Aussätziger hat die Armenkommission darauf zu achten, dass Ehepartner, die zusammenbleiben möchten, nicht getrennt werden. Jedoch ist die Entscheidung der Armenkommission, wenn sie eine solche Trennung zur Folge hat, nur dann von Gültigkeit, wenn sie nach Anhörung des Gemeindepfarrers und des Bezirksarztes vom Amtmann genehmigt wird.

§ 3. Auch für andere Aussätzige kann die Gesundheitskommission anordnen, dass diese ausreichend isoliert von ihrer Familie und ihrem Umfeld leben müssen, wobei dies jedoch nicht für den Kontakt der Ehegatten untereinander gilt. Wird nach Auffassung der Kommission wiederholten Anordnungen nicht Folge geleistet, ist die betreffende Person verpflichtet, der Aufnahme in eine öffentliche Pflege- oder Heilanstalt zuzustimmen. Führt eine solche Aufnahme zur Trennung der Ehegatten, bedarf die Entscheidung der Gesundheitskommission der Zustimmung des Amtmannes, nachdem der Gemeindepfarrer seine Meinung dargelegt hat.

§ 4. Die Kosten für die Unterbringung von Aussätzigen in öffentlichen Pflege- oder Heileinrichtungen gemäß § 3 werden von dem jeweiligen Landkreis oder der Stadtgemeinde getragen, jedoch nicht die Kosten für die Wiederaufnahme eines Aussätzigen. Wenn ein Aussätziger eine solche Anstalt ohne Erlaubnis des Leiters verlassen hat, trägt er, sofern er über die erforderlichen Mittel verfügt, diese Kosten selbst.

 § 5. Gemäß diesem Gesetz wird der Transport zur betreffenden Anstalt erforderlichenfalls durch die Polizei durchgeführt.

§ 6. Räume, Kleidung, Bettwäsche und dergleichen, die von einer aussätzigen Person benutzt wurden, dürfen nicht benutzt oder anderen überlassen werden, bis sie gemäß den näheren Anordnungen der örtlichen Gesundheitskommission gereinigt worden sind. Verstöße gegen diese Bestimmung werden polizeilich verfolgt und mit Geldstrafen geahndet, die an die Gemeindekasse zu zahlen sind.

 § 7. Ärzte, die aufgrund dieses Gesetzes Reisen unternehmen, haben Anspruch auf eine Vergütung von Reise- und Aufenthaltskosten. Die Reisekostenpauschale wird vom Staat gezahlt, während die Ausgaben für Kost und Logis vom jeweiligen Landkreis oder der jeweiligen Gemeinde übernommen werden.

§ 8. Das Gesetz über die Versorgung armer Aussätziger u.a. vom 26. Mai 1877 wird hiermit aufgehoben.

Wir haben diesen Beschluss eigenhändig und mit dem Siegel des Reiches als Gesetz angenommen und bestätigt.
Schloss Rosendal, 6. Juni 1885

Oscar

(L. S.)

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O Richter                                                       Lehmann

17 Die Lepra in Norwegen im 20. Jahrhundert
Als Armauer Hansen 1912 starb, war die Zahl der Krankheitsfälle in Norwegen bereits deutlich rückgängig. Nach 1900 war die Zahl neuer Fälle überschaubar, und mehrere der alten staatlichen Leprakrankenhäuser waren in Krankenhäuser für Tuberkulosebehandlung oder Sanatorien umgewandelt worden. Viele Menschen, die an Lepra erkrankt waren, lebten jedoch noch lange, und die Pflegestiftung Pleiestiftelsen for Spedalske Nr. 1 in Bergen hatte eine eigene Leprastation, bis 1973 der letzte Bewohner starb.

Auch im 20. Jahrhundert leisteten die Fachkreise in Bergen mit ihren Forschungen wichtige Beiträge zur internationalen Lepraforschung. Hans Peter Lie (1862–1945), der nach Hansens Tod im Jahr 1912 die Position als Chefarzt für die Leprabehandlung übernommen hatte, veröffentlichte mehrere Werke über Leprainfektionen und die Geschichte der Lepra in Norwegen. In der Neuzeit wurde das norwegische Lepraregister digitalisiert und bildete die Grundlage für historische epidemiologische Analysen.

Abbildung 1: Mit 170 Teilnehmern war der Lepra-Kongress in Bergen im Jahr 1909 der größte internationale Kongress, der jemals in einem nordischen Land stattfand. In der ersten Reihe Mitte sitzt Hansen mit weißem Bart. Zu seiner Rechten sitzt Hans Peter Lie.

18 Der letzte Bewohner des St. Jørgens Hospitals
Am 31. Oktober 1896 wurde der letzte Bewohner in das St. Jørgens Hospital eingewiesen. Im Laufe der nächsten 50 Jahre starben die Mitglieder der kleinen Gemeinde von St. Jørgens. Im Jahre 1900 hatte das Krankenhaus 43 Bewohner, von denen im Jahr 1920 noch 14 Personen am Leben waren. Im Jahr 1930 waren schließlich nur noch fünf übrig. Zwei Bewohnerinnen lebten bis 1946. Eine von ihnen, die aus der Gemeinde Fjell außerhalb von Bergen stammte, war 1891 aufgenommen worden. Die andere, die aus Eivindvik in Sogn stammte, war 1895 eingewiesen worden. Nachdem sie mehr als 50 Jahre in St. Jørgens verbracht hatten, starben die beiden innerhalb von drei Monaten im Alter von 82 bzw. 78 Jahren. Nachdem das St. Jørgens Hospital mehr als 500 Jahre genutzt worden war, war es fortan unbewohnt.

Abbildung 1: Ein Schlafzimmer im St. Jørgens Hospital in den 1930er Jahren.

Abbildung 2: Eine der beiden Küchen des Hospitals in den 1930er Jahren.

Abbildung 3: Die Kirche St. Jørgens. Nachdem die beiden letzten Bewohnerinnen des Krankenhauses 1946 starben, war das St. Jørgens Hospital keine eigenständige Kirchengemeinde mehr.

Die meisten Texte in den Räumen A–L sind Zitate oder Auszüge aus alten schriftlichen Quellen. Sie spiegeln daher das Verständnis und die Wahrnehmung wider, die zum Zeitpunkt ihrer Niederschrift vorherrschend waren. Die Sachinformationen wie auch die verwendeten Fachbegriffe stehen daher möglicherweise im Widerspruch zu dem, was wir heute wissen und betonen.

A
„Abbildung Q: Nilla Josephsdotter, 23 Jahre, aus der Gemeinde Førde. Dieses Mädchen mit weit fortgeschrittener Lepra wurde nicht von Eltern geboren, die an Lepra erkrankt waren, aber ihre Urgroßmutter mütterlicherseits hatte stark unter der Krankheit gelitten. Das Mädchen wurde 1811 zusammen mit ihrer kürzlich verstorbenen Schwester ins Krankenhaus eingeliefert. Bei einer anderen Schwester, die verheiratet ist, fünf kleine Kinder hat und auf dem Land lebt, treten seit kurzem Krankheitssymptome auf. Der Schleim, der sich in der Brust und den Luftröhren ansammelt, führt zu häufigen Verstopfungen und schrecklichem Husten. Besonders ausgeprägt ist dies bei Patientin Q, der aufgrund der Anspannung durch den schrecklichen Husten einen schnellen Erstickungstod befürchten muss.“

„Ein weiterer wichtiger Fehler in der Organisation dieses Krankenhauses besteht darin, dass die Bewohner in keiner Weise getrennt sind, so dass Kranke und Gesunde, Männer und Frauen, Erwachsene und Kinder Seite an Seite leben. Dies wird natürlich zu großer Unordnung führen und es unmöglich machen, Unmoral zu verhindern. Daher ist es keine Seltenheit, dass Frauen im Krankenhaus schwanger werden.“ 
(Militärarzt Johan Hjort, 1833)

B
„Ein 13-jähriger Junge, bei dem die Knötchen vollständig entwickelt sind und an mehreren Stellen zusammenfließen, und bei vielen von ihnen hat die Erweichung bereits begonnen. Seine Augenbrauen sind abgefallen. Erkrankte im sechsten Lebensjahr an Lepra.“

„Der Verlauf der nodulären Lepra ist wie folgt: Trägheit und Steifheit der Gliedmaßen, die sich besonders dann bemerkbar machen, wenn sich der Patient nach längerer Ruhe bewegen muss, Antriebslosigkeit und Schläfrigkeit, die im weiteren Krankheitsverlauf zu Schlafzwang führen, manchmal so ausgeprägt, dass der Patient mitten im Gespräch, bei der Arbeit oder beim Essen einschläft. Der Körper wird für den Patienten allmählich zu einer zunehmenden Belastung, er wird von einem Schweregefühl in den Gliedmaßen geplagt, so dass es ihm beim Laufen vorkommt, als schleppte er Bleigewichte, und er verspürt eine Abneigung gegen die Arbeit; seine Stimmung verdüstert sich, und Dinge, die er früher unterhaltsam fand, sind jetzt nur noch eine Last für ihn.“
(Krankenhausarzt Daniel C. Danielssen, 1843)

C
„Eine der malerischsten und überhaupt reizvollsten Städte Europas ist das kleine Bergen. Da es zwischen den Sognefjorden liegt, ist die Stadt natürlich ein interessanter Ort für die englischen Touristen in Norwegen. Sie ist von hohen Hügeln umgeben, an deren Hängen sich Straßen und Wege entlangschlängeln. Die Füße der Hügel werden von einem Meeresarm umspült, auf dem man durch das leuchtend grüne Laub hindurch die Masten von Fischerbooten sehen kann. (…) Norwegen, das Große und Schöne, das Land der belebenden Brisen, der mächtigen Wasserfälle, der weiten Gletscher, der Salzwasserfjorde, die sich hundertfünfzig Meilen landeinwärts erstrecken; Norwegen, das wohltuende und schöne Land und das letzte Land, in dem man eine so schreckliche Krankheit wie Lepra erwarten würde, ist heute tatsächlich die europäische Heimat dieser Krankheit.“
(Text der englischen Journalistin Elizabeth Garnett, 1889)

Foto: Mathea Mevik wurde 1866 auf der Insel Frøya in der Nähe von Trondheim geboren. Im Alter von 47 Jahren wurde sie 1913 in die Pleiestiftelsen in Bergen aufgenommen, verließ diese jedoch im Juni 1919, einen Monat nach dem Tod ihres Mannes, der zusammen mit ihr aufgenommen worden war. Am 1. Juli 1920 kehrte sie ins Hospital zurück und lebte dort bis zum Dezember 1941, als sie im Alter von 75 Jahren starb.

D
„Abbildungen L und M: Nils Knutsson, 27 Jahre alt, und Ingeborg Knuts Dotter, 12 Jahre alt, aus der Gemeinde Askvoll. Die beiden Geschwister haben gesunde Eltern, die noch am Leben sind und sich überhaupt nicht erklären können, warum ihre Kinder krank sind. Das erst 12-jährige Mädchen leidet bereits seit zwei Jahren an Lepra, und die Symptome sind deutlich zu erkennen. Zusätzlich zu einem großen Furunkel über ihrem rechten Auge und einem hornartigen Vorsprung auf ihrer Unterlippe, der einem Hahnsporn ähnelt, hat sie viele Wunden am Körper und ist in einem schrecklichen Zustand.“

„Mit Hilfe dieser Werkzeuge konnten die meisten Bewohner handwerkliche Arbeiten ausführen, zu denen sie in ihrem erbärmlichen Zustand sonst überhaupt nicht in der Lage gewesen wären, da die Krankheit ihre Kräfte erschöpfte und ihnen schreckliche Schmerzen bereitete. In Anbetracht ihrer körperlichen Möglichkeiten sind sie fleißige Menschen; Die Frauen spinnen Flachs, Hanf und Wolle, nähen, stricken und weben wollene Bänder, während die Männer Stiefel und Schuhe für Fischer und Bauern, Streichhölzer, Schuhnägel, Schüsseln und Eimer sowie landwirtschaftliche Geräte und Fischernetze fertigen.“
(Der Krankenhausgeistliche Johan Ernst Welhaven, 1816)

E
„Abbildung K: Johan Jacobsen, 55 Jahre alt, aus der Gemeinde Hammer. Ein Mann, dessen Finger größtenteils verkümmert sind. Im Alter von 28 Jahren erlitt er den ersten Anfall im linken Daumen, der wie ein kleiner Nadelstich aussah, und nach und nach wurde er an Händen und Füßen lahm, was sich in einem schlurfenden Gang zeigte; ansonsten hat er außer roten Augen im Gesicht keine Merkmale von Lepra, und nur wenige an den Händen. Manche Menschen mit Lepra haben keine Furunkel am Körper, obwohl sie deutliche Anzeichen von Lepra haben. Wie bei anderen Menschen mit Lepra neigen sie dazu, dass ihnen die Augenbrauenhaare ausfallen, und sie verspüren ein merkwürdiges Gefühl von Taubheit in ihren Beinen und Gelenken, wie nach einem Schlaganfall, und starke Schmerzen in den Beinen.“

„Trotz des besten Willens, der Einsicht und der Bemühungen des Arztes ist es jetzt unmöglich, die lebenden Toten zu heilen. Wahrscheinlich wird der Patient nach mehreren Jahren Krankheit entweder mit weit fortgeschrittener Lepra ins Krankenhaus eingeliefert – als ob er hierhergebracht würde, um in der Stadt zu sterben und begraben zu werden – oder, wenn er reicher ist, auf dem Land versteckt, während Verwandte und Freunde traurig auf den Tag seines Todes und seiner Beerdigung warten und sich um seine Gesundheit sorgen. Ein Patient mit unheilbarer Lepra ist daher immer unglücklich, egal, ob seine Umstände gut oder schlecht sind. Er muss auf die meisten seiner Menschenrechte und Freiheiten verzichten; Die Freude verlässt ihn ebenso wie das Leben selbst, und nur in der Unvermeidlichkeit seines bevorstehenden Todes kann er Trost und Zufriedenheit finden.“
(Der Krankenhausgeistliche Johan Ernst Welhaven, 1816)

F
„Abbildung X: Magdalena Elerts Dotter, 17 Jahre alt, aus der Stadt Bergen. Sie ist ein uneheliches Kind, angeblich von einem französischen Seemann gezeugt und hier in der Stadt von armen Pflegeeltern aufgezogen; Es wird auch angenommen, dass der Vater dieses Kindes an einer Geschlechtskrankheit gelitten haben könnte, obwohl nicht behauptet werden kann, dass seine Krankheit die Ursache für ihre Lepra gewesen ist. Die Armenkommission entschied, dass sie von den Bürgern der Stadt ernährt werden sollte, doch als vor fünf Jahren Anzeichen von Lepra an ihrem Gesicht und an ihren Füßen sichtbar wurden, wurde sie ins Krankenhaus gebracht, wo sie, wie die anderen kranken Bewohner, unter der Last ihrer Schmerzen stöhnt.“

„Die Arbeitsräume, in denen alle nicht bettlägerigen Patienten ihren Tag verbringen, sind im Verhältnis zur Anzahl der Bewohner viel zu klein und können nicht ausreichend belüftet werden, da am Ende des Raumes nur ein Fenster vorhanden ist. Noch ungesünder sind die Schlafzimmer, da zwei Personen in einem geschlossenen Raum von nur 336 Kubikfuß schlafen und dort nicht nur ihre Kleidung, sondern auch Lebensmittel, insbesondere gesalzenen Fisch und ähnliche Lebensmittel, aufbewahren müssen, weshalb es einen konstant starken Gestank in den Zimmern gibt, wenn diese geschlossen sind.“
(Militärarzt Johan Hjort, 1833)

G
„Ein 38-jähriger Mann, der von der betäubenden Form der Lepra befallen ist.“

„Niemand möchte mit einem Leprakranken unter einem Dach leben. Niemand wird mit ihm essen oder irgendeinen Kontakt haben wollen. Normalerweise wird er von seiner Familie gemieden und gezwungen, an einem abgelegenen Ort Zuflucht zu suchen, wo er, sich selbst überlassen, oft bitterstes Elend erleiden muss. In einer feuchten Erdhöhle (Kartoffelkeller), auf einem offenen Dachboden oder in einem Stall muss der arme Mensch seine elenden Tage unbeaufsichtigt und ohne Trost verbringen, bis der Tod seinem Leiden ein Ende setzt oder ein Schritt der Barmherzigkeit getan und er in das St. Jørgens Hospital eingeliefert wird, wo er zumeist in einem nassen und verfrorenen Zustand ankommt, ohne die Grundbedürfnisse des Lebens und nur mit Lumpen bekleidet, die seinen Körper seit Monaten nicht verlassen haben. So schmutzig und stinkend, dass die Menschen davor zurückschrecken, sich ihm zu nähern, wird sein Körper voller Wunden sein, die, weil sie nicht behandelt wurden, entweder brandig geworden oder von Würmern befallen sind.“
(Krankenhausarzt Daniel C. Danielssen, 1843)

H
“Ein 28-jähriges Mädchen, dessen Knötchen zusammengewachsen sind und mit dicken graubraunen Krusten bedeckt sind, die bis zu 5 cm hoch sein können. Wenn diese Krusten entfernt werden, sehen die Knötchen geschwürig aus. Sowohl an der Oberfläche als auch tiefer in der Knotenmasse gibt es Millionen lebender Milben, von denen wir annehmen, dass es sich um Acarus scabiei handelt. Der Schorf besteht fast ausschließlich aus den toten Körpern dieser Milben. Wie die noch gesunden Hautpartien haben auch die wenigen Knötchen, die nicht von Krusten bedeckt sind, eine schmutzige graubraune Farbe.“

 „Bei sechzehn der 21 Verstorbenen wurden Obduktionen durchgeführt, während bei den anderen fünf entweder die Patienten selbst oder ihre Familien ihre Zustimmung zu einer Obduktion verweigerten. Beschreibungen der Obduktionen wurden in die vorgeschriebenen Aufzeichnungen eingetragen und es wurden Kopien sowohl der Aufzeichnungen dieser Patienten als auch der entlassenen Patienten angefertigt. Sechs pathologische Proben wurden in Alkohol konserviert, während die anderen bei der Obduktion festgestellten Anomalien entweder nicht für die Konservierung geeignet oder unmöglich zu erhalten waren. Auf Wunsch der Bewohner des Krankenhauses ist immer einer von ihnen bei den Obduktionen anwesend.“
(Krankenhausarzt Daniel C. Danielssen, 1843)

I
„Ein 14-jähriges Mädchen, bei dem die Flecken oder die betroffenen Stellen auf der Haut im Verhältnis zur Hautoberfläche etwas erhöht sind; Sie sind weißer geworden und verschwinden auch unter Fingerdruck nicht. Das Kapillarnetz ist mit Blut gesättigt. Hier und da sind kleine Knötchen zu sehen. Sie sind viel blasser als die Flecken. Die Augenbrauen beginnen auszufallen.“

„Sobald Lepra in eine Familie eingedrungen ist, breitet sie sich auf so schreckliche Weise nach allen Seiten aus, dass sich kein Mitglied mehr sicher fühlen kann. In einer betroffenen Familie kann es manchmal so aussehen, als sei die Lepra ausgestorben, und eine oder zwei Generationen scheinen sogar frei davon zu sein, aber dieses Aussterben ist nicht real – es ist nur eine Flaute, eine Pause, die dieser schreckliche Feind eingelegt hat. Er erwacht mit neuer Kraft wieder zum Leben und greift die dritte oder vierte Generation gnadenlos an; denn wenn man sie sich selbst überlässt, stirbt die Lepra niemals aus, sie verfolgt ihre Beute und alle ihre Nachkommen und vergiftet sie alle bis in die letzte Generation. Diese erbliche Eigenschaft muss als die innere Ursache der Lepra angesehen werden, die schrecklichste überhaupt, denn es wird oft gesagt, dass sich die Krankheit unbemerkt in die Familien einschleicht, sie nie verlässt und immer auf eine passende Gelegenheit wartet, die Krankheit erneut bei denen hervorzubringen, die sie geerbt haben.“
(Krankenhausarzt Daniel C. Danielssen, 1843)

J
„Erik Hansen von Haug. Sein Vater ist Witwer und Bauer. Er arbeitet für seinen Vater. Der Patient ist 30 Jahre alt. Seine Mutter starb im Alter von 44 Jahren an einer Gebärmuttererkrankung. Sein Vater lebt, ist 65 Jahre alt und nicht an Lepra erkrankt. Das Haus, in dem er lebt, befindet sich in einer sehr gesunden Lage auf einer kleinen Klippe an der Spitze des Nordfjords, auf trockenem Land etwa 15–20 Fuß über dem Fjord. Er war noch nie einer starken Kälte ausgesetzt oder musste verdorbenen, eingelegten Hering oder andere verdorbene Lebensmittel essen. Er hat noch nie Kleidung getragen, die zuvor einem Leprakranken gehörte.

Die Krankheit hat ihm ein abstoßendes und hässliches Aussehen verliehen.

Er sehnt sich danach, ins Krankenhaus in Bergen eingewiesen zu werden, aber sein Vater weint bei dem Gedanken, von einem so braven Sohn getrennt zu werden.“
(Dr. Fredrik Eklund, 1879)

Foto: Die Hände von Jacob Hendriksen Friborg (1856–1885) aus Naustdal. Im Alter von 15 Jahren wurde er am 31. Dezember 1871 in die Pleiestiftelsen in Bergen aufgenommen, wo er bis zu seinem Tod im Alter von 29 Jahren lebte. In seiner Krankenakte ist vermerkt, dass er im Sommer 1876 und Sommer 1878 beurlaubt und jeweils etwa zwei Wochen lang zu Hause war.

K
Da der Herr uns so weit voneinander getrennt hat, dass wir nicht miteinander sprechen können, muss ich dir mit meiner Feder sagen, wie es mir unter den gegebenen Umständen geht, obwohl ich mich nicht beschweren darf. Aber leider, liebe Schwester, muss ich dir sagen, dass es nicht viel braucht, um uns zu beschweren. Aber wenn der Herr unsere Augen öffnen könnte, hätten wir wirklich Grund, uns über den Zustand unserer Herzen zu beschweren. Dann könnten wir sehen, wie Satan und die Sünde uns zerstört haben (…)
(Unvollendeter Brief eines Bewohners des St. Jørgens Hospitals)

Foto: Ole Olsen Grove (1863–1885) aus der Gemeinde Voss. Er wurde am 21. April 1880 im Alter von 16 Jahren in das Krankenhaus Pleiestiftelsen in Bergen eingeliefert. Am selben Tag wurde auch die 19-jährige Martha Olsdatter Grove als Patientin aufgenommen. Wir können davon ausgehen, dass sie seine Schwester war. Ole Olsen Grove starb 1885, nachdem er fünf Jahre im Hospital gelebt hatte. Martha starb bereits 1881.

L
Ich träume davon, als ich ein Junge war,
Von all den glücklichen Zeiten, die ich hatte.
Es war eine große Freude zu leben.
Doch schnell veränderte das Glück sein Gesicht
Und dann trat an die Stelle von Trauer Freude.
Für mich und viele andere
denn dieses Schicksal erwartete uns.

Ich war nicht einmal fünfzehn Jahr.
Mein Geist voll  nicht erzählter Freuden.
Sie alle wurden im Keim erstickt.
Der Schmerz überkam mich und begann bald,
Mark, Knochen und Herz zu durchstechen.
Oh, es war schwer zu ertragen
Diese Last lag auf mir.

Dann sandte Gott nach meinem Vater,
sein Elend hatte nun ein End.
Seine Tage auf Erden waren vorbei.
Vier Kinder standen um sein Grab
und schauten mit stummen Gesichtern tapfer zu,
als seine müden Knochen
an ihrem irdischen Ruheplatz gebettet wurden.

Von einem weiteren müssen wir uns trennen,
denn selbst im Herzen der Mutter war klar,
dass ich eine Belastung war.
Lange Stunden hielt sie Wache,
oft weinend, bis die Kraft sie verließ,
für mich und andere Prüfungen
wie du am besten weißt, o Herr.

Für weitere Erkrankungen, die sich hier finden,
erscheinen kluge Ärzte vor Ort,
die diese Krankheit verstehen.
Ins Hospital werden die Kranken gebracht
und für ihre Not wird nach einem Heilmittel gesucht
So werden ihre Leiden gelindert,
und all ihre Wunden sind versorgt.

Für uns jedoch gibt es keine Ärzte.
Hier müssen wir bleiben, warten, uns quälen,
bis unsere Zeit verronnen ist.
Peter ist aus dem Gefängnis entkommen,
denn auf Gottes Gnade wartete er.
O Gott, zerreiße jetzt die Ketten,
die unsere Glieder mit Schmerzen verbinden.

Manchmal gehe ich leise umher,
im stillen Haus zur Abendzeit:
Traurige Geräusche höre ich.
Man schreit bitterlich „Wehe mir“,
ein erneutes Seufzen und Stöhnen,
dass er sich ins Bett schleichen muss.
Sag mir, o Gott – wie lange?

Einer ist mit Wunden übersät,
ein anderer ist stumm – ist in Schweigen verfallen,
Ein dritter humpelt auf Krücken,
Ein vierter kann jetzt kein Tageslicht mehr sehen.
Ein Fünfter hat all seine Finger verloren.
Sicher, jetzt ist klar,
was wir hier erleiden müssen.

Hier im Hospital St. Jørgens
ertragen über Hundert Leiden,
und warte darauf, befreit zu werden.
O Heiliger Geist, unser wahrer Steuermann,
führe uns durch all unsere Leiden
und zum Himmel führe uns,
denn dort sind wir frei.

Aus einem Klagelied, geschrieben von Peder Olsen Feidie, Bewohner des St. Jørgens-Hospitals, 1835

Foto: Nils Danielsen Sætre (1832–1885) wurde am 1. Juli 1857 als zwölfter Patient nach der Eröffnung der Pflegeeinrichtung Pleiestiftelsen aufgenommen. Er lebte hier 28 Jahre lang. Am 13. Dezember 1885 starb er im Alter von 53 Jahren. Wie viele andere junge Bewohner wurde Sætre in den Patientenakten und Kirchenbüchern als unverheiratet eingetragen, wo er als Sohn eines Bauern aus der Gemeinde Finaas bezeichnet wurde.

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